Anfang Februar wählten die oberbayerischen Grünen den Kiefersfeldener Chemiker Michael Sasse auf den achten Platz ihrer Kandidat*innenliste für den Bezirkstag. Ein sehr aussichtsreicher Platz. Seinen Platz in der Gesellschaft musste sich der 33-jährige allerdings hart erkämpfen.
Seit einem schweren Autounfall unmittelbar nach seiner Geburt ist Michael Sasse querschnittsgelähmt. Die Ärzte befürchteten damals, dass er einmal weder selbstständig greifen, noch sitzen noch essen können werde. Eine Befürchtung, die sich dank regelmäßiger Therapie und Förderung durch die Familie als falsch erweisen sollte.
Ein Muster, das sich während seiner Schulzeit und akademischen Ausbildung wiederholen sollte: Statt das geistig gesunde Kind auf einer Regelschule anzumelden, rieten Behörden und Ärzte zu einem Förderschulbesuch. „Wäre meine Mutter diesem Rat gefolgt, hätte ich mein Potential nicht ausschöpfen können, hätte keinen Masterabschluss in Chemie, hätte kein Auslandssemester in Bordeaux absolviert und auch keinen Arbeitsplatz bei einer Unternehmensberatung“, so Michael Sasse, „heute bin ich es gewohnt, die erste und einzige Person mit hohem Pflegebedarf in einem ansonsten gesunden Umfeld zu sein.“
Für Sasse landeten immer noch viel zu viele Menschen im Förderschulsystem, wo sie in der Regel keine Chance auf einen regulären Schulabschluss bekommen und letztlich als einzige Perspektive die Beschäftigung in einer Behindertenwerkstätte haben. „Das bedeutet, dass diese Menschen ihr gesamtes Leben von Sozialhilfe abhängig sind und von einer Teilhabe am Leben der restlichen Gesellschaft abgeschnitten werden. Das ist für mich ein untragbarer Zustand!“
So wie er für sich einen Platz in der Gesellschaft erkämpft hat, will sich Sasse mit seiner Kandidatur für den Bezirkstag dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderung keine Parallelgesellschaft bilden, weshalb er „[…] dafür kämpfen möchte, dass alle Bürger*innen in Deutschland und Bayern, egal welches Vielfaltsmerkmal diese aufweisen, ihre Potenziale bestmöglich ausschöpfen können.“
Dafür brauche es nach seiner Ansicht individuelle Fördermöglichkeiten vor allem während der Schul- und Ausbildungszeit, um die verschiedenen Beeinträchtigungen ausgleichen zu können. Auch in Richtung Unternehmen müssten Hürden abgebaut werden und Hilfestellung bei der Anstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen gegeben werden. „Ich werde mich im Bezirkstag für ein Programm einsetzen, das lokale Unternehmen mit Arbeitnehmer*innen aus den Werkstätten zusammenbringt. Hierbei ist es insbesondere wichtig, die Unternehmen mit entsprechenden Förderungen dabei zu unterstützen, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Person mit Beeinträchtigungen ihre Arbeit bestmöglich durchführen kann. Nur so schaffen wir es mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren und den Anteil der Unternehmen zu reduzieren, die trotz gesetzlicher Verpflichtung keine Menschen mit Beeinträchtigung beschäftigen.“ Derzeit entziehen sich rund 27 Prozent der bayerischen Unternehmen dieser Verpflichtung.
Michael Sasse ist Direktkandidat zur Bezirkswahl 2023 für die Grünen im Stimmkreis Rosenheim West (128).